Grübeln verstehen und begleiten
- Thomas Laggner
- 6. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Das Fokus-Denken als Werkzeug in der psychosozialen Beratung

Wenn Denken zur Belastung wird
In der psychosozialen Beratung begegnet uns häufig ein Thema, das viele Menschen tief betrifft – ständiges Grübeln.Was zunächst als „Nachdenken“ beginnt, wird bei manchen zur Gedankenspirale ohne Ausgang. Das Denken kreist um dieselben Themen – Beziehungskonflikte, Zukunftsängste, Selbstzweifel – oft stundenlang, besonders in der Nacht.
Für Berater:innen stellt sich die Frage: Wie können wir Menschen begleiten, die in solchen Gedankenschleifen gefangen sind – ohne sie zu pathologisieren oder zu überfordern?
🧩 Was ist Grübelzwang?
Grübeln ist nicht gleichzusetzen mit Reflexion. Während Reflexion zu Einsicht, Handlung oder innerer Ruhe führen kann, hat Grübeln folgende Merkmale:
Unproduktivität: dieselben Inhalte wiederholen sich
Zukunfts- und Kontrollwunsch: „Wenn ich nur genug nachdenke, finde ich die Lösung“
Selbstabwertung und Katastrophendenken
Emotionale Erschöpfung durch ständiges inneres Arbeiten
📘 Theoretischer Hintergrund
Grübeln ist oft verbunden mit:
Angststörungen (besonders generalisierte Angststörung – F41.1)
Depressiven Verstimmungen (F32.x)
Persönlichkeitsanteilen wie Perfektionismus, Kontrollzwang, hoher Selbstanspruch
Bindungstraumata, die das Vertrauen in spontane, gefühlsgeleitete Handlung untergraben
Die Beratung darf nicht pathologisieren – sondern die Funktion hinter dem Grübeln verstehen:
👉 Das Grübeln schützt oft vor emotionaler Überflutung, Ohnmacht oder Schuldgefühlen.
✨ Beratungsansatz: Fokus-Denken
Das Fokus-Denken ist ein niedrigschwelliger, alltagstauglicher Zugang zur Gedankenklärung. Es eignet sich ideal in der Lebensberatung, um:
den mentalen Druck zu mindern
Handlungsspielräume aufzuzeigen
Selbstverantwortung zu aktivieren
die Beziehung zur eigenen Innenwelt zu verbessern
📄 So funktioniert das Fokus-Denken (FD)
Tägliches 5-Spalten-Protokoll:
1. Was geht mir durch den Kopf? | z. B. „Ich schaffe das nicht“, „Ich bin falsch“ |
2. Bewertung | Belastend / Neutral / Positiv |
3. Beeinflussbar? | Ja / Nein |
4. Was kann ich tun? | Kleinste Handlung ableiten |
5. Wie geht es mir damit? | Emotionale Selbstbeobachtung |
Der Klient oder die Klientin lernt, zwischen Gedanken und Realität zu unterscheiden, zwischen dem, was gestaltbar ist – und dem, was losgelassen werden kann.
🧰 Praxisbeispiele aus der Beratung
Beispiel 1: Alleinerziehende Mutter mit Grübelzwang
Thema: „Ich werde meinen Kindern nicht gerecht.“
Erkenntnis: Gedanken kreisen um Erwartungen anderer.
Intervention: Fokus auf das konkret Machbare heute → z. B. „Mit Tochter 10 Min. bewusst spielen.“
Wirkung: Gefühl der Kontrolle, Selbstwirksamkeit
Beispiel 2: Trennungsschmerz
Thema: „Ich hätte mich anders verhalten müssen.“
Bewertung: belastend
Beeinflussbar? Nein
Handlung: Gespräch mit Freund:in, symbolischer Abschluss
Ergebnis: Entlastung durch Handlung anstelle von Grübeln
🧭 Methodisch-didaktische Hinweise für die Ausbildung
🪶 Einführung für Klient:innen
In einfacher Sprache erklären: „Wir holen Ihre Gedanken aus dem Kopf aufs Papier.“
Wichtig: keine Korrektur, kein Zwang zur Lösung
Täglich 5–10 Minuten reichen
🧠 Für angehende Berater:innen
Ideal als Hausaufgabe nach stabilisierenden Gesprächen
Kann zu Schlüsselthemen führen (z. B. Selbstwert, Kontrolle, Überforderung)
Gut kombinierbar mit Methoden wie:
Inneres Team
Symbolarbeit
Ressourcenorientierte Fragen
🎓 Fazit für die Ausbildung
Das Fokus-Denken ist eine hochwirksame Brücke zwischen Reflexion und Handlung, besonders bei beratenden Klient:innen mit hoher Grübelneigung. Es eignet sich sowohl für Selbstanwendung als auch als therapeutische Methode, um emotionale Entlastung und Orientierung zu schaffen.
Für Lebens- und Sozialberater:innen ist es ein kraftvolles, einfach umsetzbares Werkzeug, das sowohl im Einzelsetting als auch in Gruppen (z. B. Resilienztrainings) eingesetzt werden kann.