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🎓 Wenn Kontrolle Liebe heißt

Vertrauensdynamik im Familiensystem

Ein Lehrbeitrag aus der Praxis für psychosoziale Berufe

„Ich kontrolliere ihn, weil ich ihn liebe. Und er schweigt, weil er mich nicht verletzen will.“

So oder so ähnlich verlaufen viele Familiendialoge – zwischen Eltern und Jugendlichen, zwischen Generationen, zwischen Erwartungen und Autonomiewunsch.In einer Beratungssitzung, die ich mit einem Vater-Sohn-Gespann begleiten durfte, zeigte sich eine typische, tief verwurzelte Vertrauensdynamik, wie wir sie oft in der psychosozialen Praxis erleben.


🧠 Was war passiert?

Ein Jugendlicher, 14 Jahre alt, zeigt mittelmäßige bis problematische Leistungen in einem Schulfach (Latein). Der Vater, hoch engagiert, leistungsbewusst, will sein Kind fördern – aber greift dabei zu Kontrollmaßnahmen: Zeitbeschränkungen, tägliches Nachfragen, Strukturvorgaben.

Der Sohn hingegen will eigenständig lernen. Er hat ein feines Gespür für seine Grenzen und seinen Rhythmus. Doch je mehr der Vater fragt, desto weniger erzählt er.

Je weniger er erzählt, desto mehr kontrolliert der Vater.

Eine klassische Rückkopplungsschleife entsteht.



🔄 Die paradoxe Logik von Misstrauen

  • Der Vater interpretiert Schweigen als Verweigerung.

  • Der Sohn interpretiert Fragen als Misstrauen.

  • Beide erleben sich im Recht – und beide fühlen sich unverstanden.

Systemisch gesprochen:

Vertrauen wird zur Währung im emotionalen Machtspiel.Wer zuerst gibt, hat vermeintlich verloren.

🎲 Spieltheorie trifft Psychotherapie: Das Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma zeigt eindrucksvoll, wie Kooperation scheitert, wenn die Beteiligten auf Nummer sicher gehen wollen.

  • Wenn beide vertrauen, profitieren beide.

  • Wenn einer vertraut und der andere täuscht, verliert der Ehrliche.

  • Wenn beide misstrauen, verlieren beide.

Im familiären Kontext führt das zu chronischem Rückzug, Kommunikationsabbruch und einem steigenden Gefühl von „Du verstehst mich nicht.“


🧩 Was wirklich dahintersteckt

Für den Vater:

  • Wunsch nach Sicherheit, aber auch nach Nähe.

  • Angst, versagt zu haben, wenn sein Sohn scheitert.

  • Verknüpfung von Vertrauen mit Kontrolle.

Für den Sohn:

  • Wunsch nach Autonomie und Respekt.

  • Angst, zu enttäuschen – oder nicht gehört zu werden.

  • Misstrauen gegenüber pädagogisch gemeinter Intervention.


🛠️ Lösungsansätze für Berater:innen & Therapeut:innen

1. Benennen statt beschwichtigen

„Ich merke, dass du kontrollierst, weil du dich sorgst.“

2. Vertrauen vertraglich machen

Z. B. wöchentlicher freiwilliger Infopoint vom Kind → keine Zwischenfragen von den Eltern.

3. Rollen tauschen lassen

Vater übernimmt eine Woche lang die Sichtweise des Sohnes (schriftlich oder im Rollenspiel).

4. Paradoxe Interventionen einsetzen

„Immer wenn du dir Sorgen machst, bekommt er eine Stunde mehr Youtube.“ – funktioniert nicht, aber es verändert das Spiel.

📚 Für die Ausbildung: Reflexionsfragen

  1. Welche inneren Antreiber könnten beim Vater (oder dir selbst als Berater:in) wirken?

  2. Was genau macht Vertrauen so schwer – für beide Seiten?

  3. Was sind systemische Hebel, um das Muster zu unterbrechen?

  4. Wie viel „Unwissen“ halten Eltern aus? Und was brauchen sie stattdessen?


💬 Fazit

Vertrauen ist ein Prozess – kein Zustand.In der Familienberatung geht es nicht nur um Erziehung oder Leistung, sondern um Beziehung, Beziehungswunden und deren Heilung.

Der Weg führt nicht über mehr Kontrolle. Sondern über mehr Menschlichkeit.

 

„Vertrauen gestalten – Familiendynamiken neu denken“

Ein Coachingansatz zur Lösung selbstreferenzieller Schleifen in Eltern-Kind-Beziehungen


🎯 Ziel des Konzepts

  • Verständnis der Mechanismen von Vertrauen & Kontrolle

  • Auflösung zirkulärer Misstrauensschleifen

  • Entwicklung paradoxer, kreativer Lösungsstrategien

  • Förderung emotionaler Selbststeuerung

  • Stärkung von Selbstverantwortung & Autonomie im Familiensystem


🧱 Methodisches Grundgerüst

🔹 1. Analysephase: Die Vertrauensmatrix

Tool: Visuelle Aufstellung auf Flipchart oder Pinnwand

  • Achsen: „Verantwortung zeigen“ (Kind) & „Kontrolle loslassen“ (Eltern)

  • Vier Felder:

    1. Kein Vertrauen + keine Verantwortung → Verwilderung

    2. Vertrauen + keine Verantwortung → Naives Loslassen

    3. Kontrolle + keine Verantwortung → Erschöpfte Eltern

    4. Vertrauen + Verantwortung → Selbststeuerung

Ziel: Das Familiensystem soll vom Modus 3 zu Modus 4 gelangen.


🔹 2. Reflexionsphase: Das Spiel verstehen

  • Einführung in das „Gefangenendilemma“ als Metapher:

    • „Wenn ich loslasse, verliere ich.“

    • „Wenn ich nichts sage, werde ich kontrolliert.“

  • Reflexion über:

    • Informationsasymmetrien (Kind weiß mehr als Eltern)

    • Eskalationsdynamiken (Frustration → Kontrolle → Rückzug)

Übung: Rollenspiel „Was denkt der andere über mein Verhalten?“


🔹 3. Der Regelkreis: Vertrauen systemisch aufbauen

Tool: Das T.O.T.E.-Modell (Test – Operate – Test – Exit)

  • Eltern und Kind definieren gemeinsam:

    • Welche Infos geben Sicherheit?

    • Welche Formen der Kontrolle sind destruktiv?

    • Welche Feedbackpunkte sind für beide akzeptabel?

Beispielvereinbarung:„Ich teile 2x wöchentlich freiwillig meine Lernfortschritte mit, dafür fragt ihr mich sonst nicht danach.“


🔹 4. Paradoxe Interventionen

Mögliche Aufgaben:

  • Sorge belohnen: „Für jeden sorgenvollen Gedanken bekommt das Kind eine kreative Aufmerksamkeit.“

  • Rollentausch-Tag: „Heute ist das Kind für das Timing und die Struktur zuständig.“

  • Panikritual: „Wenn Eltern Panik kriegen, tanzen sie 30 Sekunden Affentanz – ernstgemeint als humorvolle Entladung.“


🔹 5. Abschluss: Commitment & Feedbackschleife

Co-Creation eines „Vertrauenspapiers“:

  • Was ich mir von dir wünsche

  • Was ich dir verspreche

  • Was ich akzeptiere, nicht zu wissen

  • Was wir gemeinsam testen und nachjustieren

Symbolisches Ritual:

  • Vater übergibt symbolisch den „Vertrauenskiesel“ oder eine andere Metapher („Schlüssel“, „Schirm“, „Anker“)


📦 Materialien zum Konzept

  • Checkliste: Anzeichen für Vertrauensabbau

  • Mini-Logbuch: Vertrauensmomente dokumentieren

  • Spieltheoretische Matrix: Verlust vs. Gewinn bei Vertrauen

  • Rollenkarten für Perspektivwechsel


💬 Begleitfrage zur Supervision oder Nacharbeit:

„Wie viel Vertrauen halte ich aus, ohne Kontrolle zurückzuholen?“

Optional: Erweiterung in Workshop- oder Gruppensetting

  • Dauer: 2x 90 Minuten oder ein 3-Stunden-Modul

  • Einsatz in Elternrunden, Familientherapie oder Fortbildung für psychosoziale Berufe


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