Was bedeutet personzentrierte Beratung und Psychotherapie wirklich?
- Thomas Laggner
- 20. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Eine Einladung zum tiefen Verstehen und absichtslosen Begleiten
🌱 Einleitung: Warum wir so oft das Eigentliche übersehen

Es gibt Sätze, die klingen einfach – und sind doch radikal in ihrer Tiefe. Einer davon lautet: „Ich bin nicht hier, um zu helfen. Ich bin hier, weil ich mich für den Menschen interessiere.“
Dieser Satz, der Carl R. Rogers zugeschrieben wird, bringt auf den Punkt, was personzentrierte Beratung und Psychotherapie im Kern bedeuten: eine Begegnung, in der der Mensch nicht Mittel zum Zweck ist, sondern Ziel und Sinn der Beziehung. In einer Zeit, in der Tools, Diagnosen und Interventionen boomen, ist das ein heilsames Innehalten.
Was bedeutet „personzentriert“ wirklich?
Der Begriff „personzentriert“ steht für weit mehr als eine Methode oder eine wohlwollende Haltung. Er beschreibt ein tief verankertes Verständnis vom Menschen als wachstumsorientiertes, freies und selbstverantwortliches Wesen.
Die berühmten drei Grundhaltungen, die Rogers formulierte:
Empathie
Kongruenz (Echtheit)
bedingungsfreie Wertschätzung
… sind keine Techniken, sondern Elemente einer Beziehungsqualität, in der sich Klient:innen sicher, gesehen und gemeint fühlen.
In dieser Beziehung können Menschen:
sich selbst besser wahrnehmen,
alte Muster hinterfragen,
neue Entwicklungsimpulse entdecken – aus sich selbst heraus.
Ob in der Psychotherapie oder der psychosozialen Beratung: Das Zentrum ist nicht das Problem, sondern die Person.
Methoden oder Haltung? Der feine Unterschied
Natürlich arbeiten Berater:innen und Psychotherapeut:innen mit Werkzeugen – aber im personzentrierten Setting gilt:
Nicht die Methode bestimmt den Menschen – sondern der Mensch bestimmt, ob die Methode sinnvoll ist.
Ein oft genanntes Bild:„Ich schenke dir eine Rose – nicht damit du dich freust, sondern weil ich mich dir zuwenden will.“
Absichtslosigkeit ist hier nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit. Sie bedeutet vielmehr:Ich bin da – ohne Plan, aber mit innerer Präsenz.
Drei Wege – eine Wurzel: Personzentriert, Experientiell, Prozessorientiert
In den letzten Jahrzehnten haben sich innerhalb der personzentrierten Tradition mehrere Richtungen entwickelt. Für Berater:innen und Psychotherapeut:innen ist es hilfreich, sie zu kennen:
Klassisch personzentriert
Haltung und Beziehung stehen im Mittelpunkt
Orientierung an Rogers' Originalarbeit
Experientiell (Focusing nach Eugene Gendlin)
Förderung inneren Erlebens durch achtsame Selbstzuwendung
Besonders hilfreich bei diffusen Gefühlen, Entscheidungsfragen, psychosomatischen Themen
Prozessdirektiv (z. B. Emotion-Focused Therapy)
Methode zur gezielten Aktivierung emotionaler Verarbeitungsprozesse
Primär psychotherapeutisch und wissenschaftlich fundiert
Alle drei Zugänge wurzeln in der Idee, dass der Mensch über eine ihm innewohnende Kraft zur Selbstaktualisierungverfügt – und dass Beziehung der Katalysator ist.
💬 Was heißt das für die Beratungspraxis?
In der personzentrierten Beratung und Psychotherapie bedeutet das:
Wir arbeiten mit Beziehung, nicht mit Rezepten.
Wir schaffen Bedingungen – keine Lösungen.
Wir halten den Raum – statt ihn zu lenken.
Ein Mensch in Krise braucht nicht primär kluge Ratschläge, sondern einen anderen Menschen, der bereit ist, mit ihm da zu sein – auch im Ungewissen.
🙋♀️ Und was bedeutet das für dich?
Wenn du Berater:in oder Psychotherapeut:in bist, dann kennst du vielleicht die Versuchung, „etwas richtig machen“ zu wollen.
Doch vielleicht magst du dich erinnern:
Vertrauen ist wirksamer als Kontrolle. Beziehung ist stärker als Technik.
Und wenn du Klient:in bist, dann darfst du wissen: Du bist willkommen. Nicht als Fall – sondern als Mensch.
🧩 Fazit: Haltung statt Technik
Personzentrierte Beratung und Psychotherapie sind keine Schablonen. Sie sind ein Prozess des Wachsens, der Beziehung und der Präsenz.
Sie folgen keiner Checkliste – sondern der inneren Bewegung des Menschen.
Oder wie Carl Rogers es sagte: „The curious paradox is that when I accept myself just as I am, then I can change.“– Carl R. Rogers
Die authentische deutsche Übersetzung dieses Satzes lautet:
„Das Paradoxe ist: Wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin – dann kann ich mich verändern.“
Diese Aussage ist zentral für Rogers' personzentrierten Ansatz: Veränderung geschieht nicht durch Druck oder Optimierungsideale, sondern durch radikale Selbstannahme.