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Psychischer Befund (AMDP-orientiert)

Für psychosoziale Beratung & Psychotherapie-Ausbildung


1. Was ist der psychische Befund?

Der psychische Befund ist eine professionelle Beschreibung des aktuellen seelischen Zustandes eines Menschen.Er ist objektiv, beobachtend, neutral und verzichtet auf Interpretationen oder Wertungen.

Er beantwortet die Frage:Wie wirkt die Person JETZT – emotional, gedanklich, körperlich, im Verhalten?


2. Warum AMDP?

Das AMDP-System ist der deutschsprachige Standard zur Beschreibung psychischer Symptome.Es sorgt dafür, dass Fachkräfte einheitlich, präzise und nachvollziehbar dokumentieren.

Es dient:

  • der fachlichen Qualitätssicherung

  • der interprofessionellen Verständlichkeit (Ärzte, Psychiatrie, Gutachter)

  • der Diagnosevorbereitung

  • der Therapieverlaufsbeobachtung

  • der Erfüllung der Dokumentationspflicht gemäß Psychotherapiegesetz (§16)


3. Die 10 wichtigsten AMDP-Kategorien

Der Befund beschreibt keine Diagnose, sondern sicht- und hörbare Hinweise.


1. Bewusstsein & Orientierung

  • Wach? Klar? Verwirrt?

  • Orientiert zu Person, Ort, Zeit, Situation?

Beispiel:„Klar, allseits orientiert.“


2. Aufmerksamkeit & Konzentration

  • Ablenkbar? Sprunghaft?

  • Kann die Person einem Gedanken folgen?

Beispiel:„Konzentration durch Grübeln eingeschränkt.“


3. Formales Denken

Wie wird gedacht?

  • geordnet

  • gehetzt

  • verlangsamt

  • sprunghaft

  • Gedankenreißen

Beispiel:„Gedankengang geordnet, aber von Sorgen durchzogen.“


4. Inhaltliches Denken

Was beschäftigt die Person?

  • Ängste

  • Schuldgefühle

  • Grübeln

  • Zwangsgedanken

  • Überwertige Ideen

Beispiel:„Ausgeprägte Zukunftsängste und Verlustsorgen.“


5. Wahrnehmung

  • Halluzinationen?

  • Verfälschungen?

Beispiel:„Keine Wahrnehmungsstörungen.“


6. Ich-Erleben

  • Depersonalisation („Ich fühle mich fremd in mir.“)

  • Derealisation („Die Welt wirkt unwirklich.“)

Beispiel:„Kein Hinweis auf Ich-Störungen.“


7. Affekt & Stimmung

  • ängstlich

  • gereizt

  • gedrückt

  • schwankend

  • affektarm

  • übermäßig emotional

Beispiel:„Deutlich ängstlich-gedrückte Stimmung.“


8. Antrieb & Psychomotorik

  • Unruhe

  • Verlangsamung

  • Erschöpfung

  • Übererregung

Beispiel:„Psychomotorisch unruhig, wirkt erschöpft.“


9. Vegetative Symptome

  • Schwitzen

  • Zittern

  • Herzrasen

  • Schlafstörungen

  • Appetitveränderungen

Beispiel:„Erhöhte vegetative Erregung bei Angst.“


10. Impulskontrolle

  • Wutausbrüche

  • Selbstschädigung

  • unkontrolliertes Verhalten

Beispiel:„Impulskontrolle zeitweise beeinträchtigt.“


4. Leitprinzipien für Formulierungen

  1. Beschreibend, nicht interpretierend„wirkt ängstlich“ statt „ist feige“.

  2. Gegenwart, nicht Vergangenheit„Der Klient erscheint heute…“

  3. Neutral und wertschätzendKeine Pathologisierung, keine Abwertung.

  4. Beobachtbares verwendenKörpersprache, Tonfall, Inhalt.

  5. Kurz, klar, strukturiertEin Satz pro Kategorie reicht oft.


5. Musterbeispiel (für Unterricht & Praxis)

Psychischer Befund – Beispiel„Der Klient zeigt sich klar und voll orientiert. Aufmerksamkeit wechselhaft, Konzentration durch Grübelneigung beeinträchtigt. Denken geordnet, inhaltlich von Zukunftssorgen und Verlustangst geprägt. Keine Wahrnehmungsstörungen. Stimmung gedrückt, ängstlich und labil. Psychomotorik unruhig. Vegetative Übererregung (Schwitzen, Zittern). Impulskontrolle phasenweise reduziert (Wutausbrüche).“


6. Ziel des Befundes

Der psychische Befund ermöglicht:

  • professionelle Standortbestimmung,

  • Objektivierung des Zustands,

  • Vergleich im Therapieverlauf,

  • Fundament für Diagnostik und Behandlungsplanung.

Übungssammlung: Psychischer Befund (AMDP-orientiert)

5 Übungsfälle mit Lösungsteil

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Fall 1 – „Der überforderte Lehrling“

Kurzfall:Ein 17-jähriger Lehrling kommt wegen massiver Schul- und Prüfungsangst.Er wirkt sehr angespannt, vermeidet Blickkontakt, nestelt ständig an seinen Fingern.Gedanklich kreisen seine Sorgen um das Versagen in der Ausbildung.Er schläft schlecht, isst unregelmäßig und berichtet über häufiges Herzrasen am Morgen.Er wirkt innerlich gehetzt, aber äußerlich gehemmt.Keine Hinweise auf Realitätsverlust.

Aufgabe:

Formuliere einen AMDP-orientierten psychischen Befund in 5–7 Sätzen.


Fall 2 – „Die ruhlose Mutter“

Kurzfall:Eine 39-jährige Mutter von zwei Kindern berichtet, sie könne „nicht mehr abschalten“.Sie wirkt angespannt, redet schnell, springt zwischen Themen, verliert Fäden.Gedanken kreisen um familiäre Verantwortung.Sie beschreibt dauernde Erschöpfung, Einschlafprobleme und morgendliche Panik.Keine Halluzinationen, aber häufig „alles ist irgendwie unwirklich“.Gefühle wechseln rasch zwischen Angespanntheit, Gereiztheit und Tränen.

Aufgabe:

Beschreibe den psychischen Befund klar, neutral und beobachtungsorientiert.


Fall 3 – „Der zurückgezogene Student“

Kurzfall:Ein 21-jähriger Student wirkt verlangsamt, spricht leise und zögernd.Er hält wenig Blickkontakt.Er berichtet, er habe „keine Kraft und keinen Sinn“ mehr.Gedanklich zeigt sich Grübelneigung, stark negativer Selbstwert, Schuldgefühle.Er schläft viel, isst wenig, der Tagesrhythmus ist verschoben.Er verneint Suizidgedanken, wirkt aber emotional verflacht.

Aufgabe:

Formuliere einen psychischen Befund nach AMDP in 6–8 Sätzen.


Fall 4 – „Der impulsive Partner“

Kurzfall:Ein 33-jähriger Mann kommt nach einer eskalierenden Paarauseinandersetzung.Er wirkt gespannt, fährt sich häufig über das Gesicht, steht mehrfach auf und setzt sich wieder.Er berichtet von Wutanfällen und impulsivem Verhalten („ich schlag Türen“, „ich werf Sachen“).Gedanken springen zwischen Rechtfertigung und Selbstabwertung.Keine Bewusstseinsstörung.Er beschreibt immer wieder kurze Phasen von Panik, Zittern und Atemnot.Schlaf ist unruhig, Appetit normal.

Aufgabe:

Erstelle einen klaren, vollständigen AMDP-Befund.


Fall 5 – „Die übererregte Jugendliche“

Kurzfall:Eine 16-Jährige kommt nach einem traumatischen Erlebnis.Sie wirkt hochschreckhaft, dreht sich bei Geräuschen sofort um.Berichtet von Albträumen und ständigen inneren Bildern.Spricht schnell, wirkt getrieben.Atem flach, Hände zittern.Sie beschreibt Situationen als „irgendwie nicht echt“.Affekt rasch wechselnd, von Angst zu Reizbarkeit.

Aufgabe:

Formuliere den psychischen Befund mit besonderem Fokus auf:– Übererregung– Wahrnehmung– Affekt

Lösungsteil (für Trainer:innen)

(Diese Lösungen sind bewusst knapp gehalten, damit die Lernenden ihre eigenen Formulierungen üben können.)


Lösung Fall 1 – Lehrling

„Klar und allseits orientiert. Aufmerksamkeit erhöht angespannt, Konzentration eingeschränkt. Denken geordnet, inhaltlich durch Versagenssorgen geprägt. Stimmung ängstlich, gedrückt. Psychomotorik unruhig, nestelt an den Fingern. Vegetativ Herzrasen, Schlafstörung, Appetit reduziert. Keine Wahrnehmungsstörungen.“


Lösung Fall 2 – Mutter

„Bewusstsein klar, Orientierung vollständig. Aufmerksamkeit schwankend, Konzentration durch Gedankensprünge beeinträchtigt. Denken gehetzt und thematisch sprunghaft. Inhaltlich Belastung durch familiäre Verantwortung. Stimmung gereizt-angespannt, affektiv labil. Psychomotorik gesteigert. Derealisation zeitweise beschrieben. Vegetativ Schlafstörung und Erschöpfung.“


Lösung Fall 3 – Student

„Klar orientiert. Psychomotorisch verlangsamt, spricht leise. Denken geordnet, aber von Grübeln und negativen Selbstwertgedanken geprägt. Stimmung gedrückt, affektiv verflacht. Antrieb vermindert. Vegetativ reduzierter Appetit, verschobener Tag-Nacht-Rhythmus. Keine Wahrnehmungsstörungen. Suizidgedanken verneint.“


Lösung Fall 4 – Partner

„Klar und orientiert. Psychomotorisch angespannt, wechselnd zwischen Sitzen und Aufstehen. Denken sprunghaft zwischen Rechtfertigung und Selbstkritik. Stimmung gereizt, affektiv labil. Vegetativ Zittern, Atemnotepisoden. Impulskontrolle zeitweise vermindert (Wutausbrüche). Keine Wahrnehmungsstörungen.“


Lösung Fall 5 – Jugendliche

„Allseits orientiert. Psychomotorisch übererregt, hochschreckhaft. Denken geordnet, aber durch intrusive Erinnerungen belastet. Wahrnehmung zeitweise derealisiert. Stimmung ängstlich, affektlabil. Vegetativ Zittern, flache Atmung. Schlaf gestört (Albträume). Übererregung deutlich erhöht.“

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