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AutorenbildThomas Laggner

Reflexionshilfen/ Kategorien zur Analyse von Gesprächssequenzen

Die folgenden Aspekte können eine Orientierungshilfe (Aufmerksamkeitsfokussierung) bei der versuchten Analyse von Gesprächssequenzen bieten.

Einige Beobachtungs- und Interpretationsebenen in Hinsicht auf das professionelle Kommunikationsverhalten der personzentrierten Therapeutin/ des Therapeuten:


Konkretes therapeutisches Handeln als Ausdruck der grundlegenden "Basisvariablen"


Schwerpunkt 1 - Therapieprinzip "Einfühlendes Verstehen - Empathie":

1.1 Realisierung einer "bedeutungsstiftenden Empathie" (auch "inferential empathy" oder "empathic conjecture" oder "empathy-based interpretation").

1.2 Ansprechen (latenter) Sinnstrukturen.

1.3 Kommunikation einer "stellvertretenden Introspektion" (kontrollierte Identifikation).

1.4 Angebot von "Verstehenshypothesen", ,,probing reflection" (Konstruktion von neuen Zusammenhängen, ... ).

1.5 ,,Erste-Person-Reaktionen" (partielle und passagere Identifikation) (Spiegeln einer Klientenäußerung mittels direkter Rede - ,,Ich-Form").

1.6 Konkretisierende Verstehensversuche.

1.7 Organismusbezogenes Verstehen (z.B. Zusammenhang Gefühl-Bedürfnis).

1.8 Selbstkonzeptbezogene Interpretationsangebote (,,Sie haben sich deswegen geschämt?").

1.9 Bezugnahme auf (vermutete) Motive oder Intentionen des Klienten/ der Klientin, Aufgreifen der in Problembeschreibungen implizierten Bedürfnisse/Wünsche/Sehnsüchte.


Schwerpunkt 2 - Therapieprinzip "Bedingungsfreie Anerkennung" (,,anschauender und bestätigender Mitvollzug" [Finke]):

2.1 Bestätigende empathische Reaktionen (,,empathic following responses").

2.2 Anerkennende Reformulierungen (dazu auch: positives Reframing, wie bspw. Interpretation von Symptomen als "Selbstheilungsversuche").

2.3 Bezugnahme auf die Bedeutungszuschreibung des Klienten/ der Klientin (Perspektivenübernahme, Rückspiegelung der erkennbaren Interpretationen, Bewertungen und Beschreibungen des Klienten bzw. der Klientin).

2.4 (minimale) Hörersignale mit verschiedenen Bedeutungen (je nach situativem Kontext) - ,,minimal responses".

2.5 Rückbezug auf früher getätigte Aussagen (z.B.: Aufgreifen bzw. Weiterentwicklung von Bildern oder Metaphern).


Schwerpunkt 3 - Therapieprinzip "Kongruenz - Authentizität":

3.1 ,,Interpersonal challenge" (Stichworte: ,,hilfreiche Verstörungen", dialogische Be- und Entgegnungen, Konfrontationen, Förderung von Neukonstruktionen).

3.2 ,,Empathic challenges" (einzufühlsame Angebote alternativer Perspektiven auf Basis eigener (intuitiver) Eindrücke: z.B. ,,Mir scheint, Sie wollen eigentlich schon arbeiten gehen, aber Sie wollen mit Ihrem Chef nichts zu tun haben!").

3.3 Selbsteinbringung (eigene Resonanzen "zur Verfügung stellen" - beachte die Unterscheidung zwischen symmetrischer (konkordanter) und komplementärer sowie personaler Resonanz).

3.4 Formulierung eigener Assoziationen als Ausdruck von Verstehensversuchen.

3.5 Klärungsversuche / Beschreibungsangebote für die therapeutische Beziehung anbieten entlang eigener Wahrnehmung von chronifizierten "Blockaden", Mustern o.ä.

3.6 Aufgreifen (impliziter) Bezugnahmen des Klienten/ der Klientin auf die Person des Therapeuten bzw. der Therapeutin (Stichworte: unterschwellige Feedbacks und Qualifizierungen der Beziehung, Beziehungsbotschaften und -wünsche, Appelle).


Schwerpunkt 4 - ,,Unterstützung der Selbstexploration" - ,,Förderung des ,theragnostischen' Prozesses":

4.1 Anbieten von Begriffen/ Kategorien als Unterstützung für neue Selbstbeschreibungen (,,Clarification").

4.2 Fokussierung auf unmittelbares Gefühlserleben (auch: ,,affirmative empathische Reaktion" - Bestärkung der vorerst nur vage geäußerten Gefühle).

4.3 Konfrontierende Prozessbeobachtungen (,,Seit Sie begonnen haben, dieses Thema anzusprechen, wird Ihre Stimme immer leiser.").

4.4 Metakommunikation (z.B. Rückmeldung in Hinsicht auf Wortverwendung, Ansprechen von Mustern innerhalb der therapeutischen Beziehung).

4.5 Feedback (z.B. Reaktion auf bzw. Aufgreifen von nonverbalen Ausdrucksformen oder Aufgreifen von Präsuppositionen [=implizierte Voraussetzungen]).

4.6 Konfrontieren mit wahrgenommenen Aspekten der Selbstbeschreibung des Klienten (Aufgreifen von selbstbezuglichen Aussagen der Klientin).

4.7 Fragen als Ausdruck "explorativer Empathie" (beachte die Vielfalt möglicher Arten von Fragen: öffnende - weiterführende - Verständnisfragen - eingrenzende Fragen - Szenariofragen - zirkuläre Fragen - auch "Fit questions").

4.8 Ansprechen vermuteter Abwehrreaktionen gegenüber eigenem Erleben (Erscheinungsbild der Abwehr verdeutlichen - Ansprechen der Konsequenzen und möglichen Intentionen der Abwehr).

4.9 Fokussierung auf innere Konflikte (Stichworte: Aufsuchen von "Ambivalenzfeldern" - siehe dazu auch unten Stichwort "Diskrepanzen").


Kommunikationsverhalten abseits der grundlegenden personzentrierten "Basisvariablen"

5.1 Inkongruentes Kommunikationsverhalten: implizite und unwillkürliche Kommunikation des (abgewehrten) Erlebens des Therapeuten.

5.2 Offenkundig unterdrückter Ausdruck eigener Resonanzen.

5.3 ,,Strategische" Interventionen mit (zumindest impliziter) Zielsetzung (Veränderungsstreben - unterschwelliger Beseitigungsimperativ).

5.4 (Mehr oder weniger) offenkundiges "Beharren" auf eigene Interpretationen, z.B in Form von diagnostizierenden Beschreibungen oder theoriegeleiteten Interpretationen mit Expertenanspruch (Schwächung der "Interpretationshoheit" des Klienten).

5.5 Qualifizierungen/ Bewertungen von Klientenäußerungen (positiv wie negativ) (Mangel an Konstrukt-, Partei- (Beziehungs-), Lösungs - und Veränderungsneutralität).

5.6 Direktive "Empfehlungen", (mehr oder weniger) subtiles "Drängen" in bestimmte "Richtungen".

5.7 Dogmatisierende Bemerkungen oder moralisierende Anmerkungen (Anwendung/explizite Ausführung eigener Wertvorstellungen und -urteile).

5.8 lnvestigative Fragestellungen, um sich selbst ein Bild machen zu können (mangelnde Diskursdifferenzierung zwischen Anamnese und Therapie).

5.9 Selbstdarstellung des Therapeuten/ der Therapeutin (z.B. identifizierende Generalisierung).

5.10 Anwendung (,,Moderation") von psychosozialen Techniken, um bestimmte Effekte zu erzielen.

5.11 Überwiegend instrumentale Interaktionen des Therapeuten.

5.12 Wiederholte Äußerungen mit Aufforderungscharakter.

5.13 Mehrdeutige und unklar bleibende Äußerungen.

5.14 Übergehen/ Übersehen erlebensbezogener Äußerungen der Klientin/ des Klienten (z.B. in Folge eigenen Bedroht-Seins oder mangelnder Achtsamkeit).

5.15 Übergehen von direkten Bezugnahmen auf die Person des Therapeuten/ der Therapeutin (,,abstinente" Verweigerung von Begegnung).

Beobachtungsebenen und Interpretationsmöglichkeiten in Hinsicht auf das Kommunikationsverhalten der Klientin/ des Klienten


Schwerpunkt 1 - Mögliche Hinweise auf inkongruente Prozessmomente, Blockaden:

6.1 Erkennbare Abneigung sich selbst mitzuteilen, (explizite und implizite) ,,Sperren" gegenüber innerer Kommunikation.

6.2 Generalisierungen (z.B. der eigenen inneren "Weltmodelle", des eigenen inneren Bezugsrahmens, Rigidität von Aussagen, konstruktgeleitete Bedeutungsgebung u. dgl.) typische Worte dafür sind: ,,nie", ,,immer", ,,jeder".

6.3 Darstellung eigener Konstrukte als "Fakten" oder unüberprüfte Interpretationen von Gefühlen, Motiven, Verhalten anderer Personen (Stichwort: ,,Gedankenlesen").

6.4 Organismische Bewertungen (Affekte) setzen sich gegenüber der Selbststruktur durch (Verwirrung, Unverständnis gegenüber sich selbst).

6.5 An der Selbststruktur orientierte Bewertungen, Erklärungen und Beschreibungen setzen sich gegenüber den Affekten durch, selbstkonzeptbezogene Erklärungen/ Bewertungen/ Beschreibungen (abgewehrte Erfahrungen, Entwicklungsprozess stagniert, Abwehr drohender Betroffenheit).

6.6 Strukturgebundene Beschreibung von Erfahrungen (gegenwärtige Momente werden in erster Linie im Lichte vergangener Erfahrungen kommentiert, bewertet, erklärt).

6.7 Tilgungen (unscharfe Aussagen/ Abdecken von wesentlichen Aspekten einer Aussage).

6.8 Sprachliches "Überdecken" drohender (organismischer) Erfahrungen.

6.9 Sprachlicher Ausdruck (auffällig "geschliffene", grammatikalisch perfekte Sprache, wenig authentisch).

6.10 Verantwortungsabwehr von Gefühlen (,,internale v. externale Kontrollüberzeugungen", Nominalisierungen - Reifikation") - Gefühle werden als fremde und/oder "vergangene" Objekte beschrieben.

6.11 Inkongruente "Para-Botschaften" (Stimmlage, Sprechtempo, Lautstärke, Tonhöhe, Haltung, Gestik, Mimik).

6.12 Widersprüche (siehe folgend) werden zwar ausgedrückt, aber nicht als solche erkannt.

6.13 Erkennbare Diskrepanzen zwischen Selbstbeschreibung und beobachtbarem Verhalten (z.B. affektiver Ausdruck), verbalen und non-verbalen Äußerungen, Selbstbild und Selbstideal, formulierten Ansprüchen an sich selbst und praktiziertem Verhalten, verschiedenen Gefühlen, Aussagen oder zwischen Einsicht und Verhalten.

6.14 ,,Beredtes" Schweigen (in aller Vielgestaltigkeit wie bspw. ,,kalte" Aggression, Schutzbedürftigkeit, Sprachlosigkeit, Verwirrung).

6.15 Unreflektierte Übernahme externaler Wertsetzungen (geringes Ausmaß an Selbstbezug bei Bewertungen von Impulsen oder Verhalten).

6.16 Selbstabwertungen.


Schwerpunkt 2 - Mögliche Hinweise auf kongruente Prozessmomente, "Präsenz" - flüssige "Selbstexploration", authentischer Ausdruck von inneren Prozessen:

7.1 Transponieren innerer Erfahrungen ins Bewusstsein ("sincere sensitiveness") - aktuelle Fokussierung auf unmittelbares Gefühlserleben, klar erkennbarer Ausdruck von Emotionen, Verantwortungsübernahme für eigenes Erleben.

7.2 Artikulation spontaner Einsichten, "Selbstüberraschung".

7.3 Klare Erfahrung von aktuellen (spontan "emporsprudelnden") Gefühlen.

7.4 Empfindungen werden in ihrer Prozesshaftigkeit unmittelbar erfahren im Sinne einer "reflexiven Bewusstheit".

7.5 Formulierung persönlicher Bezüge zu den aktuell auftauchenden Gefühlen.

7.6 Kritische Reflexion persönlicher Konstrukte, die als solche erkannt und relativiert werden, spontane "Neukonstruktionen" im aktuell sich vollziehenden Prozess der Artikulation.

7.7 Freier Dialog im Bereich des Selbst, In-Beziehung-Treten mit sich selbst als eine Form des "Sich-Selbst-Zuhörens".

7.8 Sichtbares Bemühen um größtmögliche Genauigkeit in der Symbolisierung von inneren Prozessen (Differenzierung von Gefühlen, entschiedene Zurückweisung inadäquater Verstehensangebote des Therapeuten).

7.9 ,,Beredtes" Schweigen (in aller Vielgestaltigkeit wie bspw. Verletztheit, Nachdenken als Vorstufe zum Verstehen, bewusstes Spüren eigener Emotionen).

7.10 Ansprechen eigener körperliche Reaktionen (Haltung, Bewegungen, schwitzen, erröten, Bauchgeräusche, frösteln, "Gänsehaut").

7.11 Spontane Erfahrungen und treffende Symbolisierungen werden mit physischen Auflockerungen begleitet (feuchte Augen, Seufzer, Muskelentspannungen).

7.12 Formulierung und offene Darlegung von "katathym-spontanen" Bildern.

7.13 Selbstreflexive Bemerkungen in Hinsicht auf Affekte, kognitive Konstrukte (beschreibend, erklärend, persönlich bewertend-qualifizierend).

7.14 Bislang eher starre, persönliche Konstrukte lösen sich im Moment klarer Erfahrung auf, persönliche Konstrukte werden versuchsweise umformuliert.

7.15 Fokussierung auf innere Konflikte - Akzeptanz innerer Konflikte (Stichworte: aktives Aufsuchen von "Ambivalenzfeldern").

7.16 Empfundene eigene Besorgnis über erkannte eigene Widersprüche und "Ungereimtheiten".

7.17 Formulierte Diskrepanzen zwischen Selbststruktur und Erleben, die als solche auch offen und klar wahrgenommen werden können.

7.18 Authentischer sprachlicher Ausdruck (z.B. impulsive Aussagen, Dialekt).

7.19 Explizite Relativierung externaler Wertsetzungen bzw. hohes Ausmaß an Selbstbezug bei Bewertungen von Impulsen oder Verhalten.

7.20 Grundsätzliches Vertrauen in den eigenen inneren Prozess wird geäußert.


Schwerpunkt 3 - Allgemeine Beobachtungsebenen in Hinsicht auf den Prozess des Klienten:

8.1 Zeitbezug der inhaltlichen Fokussierungen (Vergangenheit, Zukunft oder Gegenwart).

8.2 Retrospektive Bezugnahmen auf Äußerungen oder Verhalten der Therapeutin.

8.3 ,,Beredtes" Schweigen (in aller Vielgestaltigkeit wie bspw. Verletztheit, "kalte" Aggression, Schutzbedürftigkeit, Nachdenken - als Vorstufe zum Verstehen, Sprachlosigkeit).

8.4 Formulierung von Präsuppositionen (=implizierte Voraussetzungen).

8.5 Erkennbare körperliche Reaktionen (Haltung, Bewegungen, schwitzen, erröten/erbleichen, Bauchgeräusche, frösteln, "Gänsehaut", Mimik, Gestik, Körperspannung, Blickkontakt, Atmung).

8.6 (Veränderte) Sprechgeschwindigkeit, Rhythmik und/oder Lautstärke.

8.7 Verwendung von Gleichnissen, Metaphern und Allegorien (konstruierte, "mitgebrachte" Metaphern o.ä. oder "katathym-spontane" Bilder).

8.8 Erkennbare "Leitdifferenzierungen" (z.B. [wiederkehrende] "Schlüsselworte", prägende Bilder/ Vergleiche / Metaphern).

8.9 Prinzipielle Beziehungsmuster des Klienten, in denen sich "persönliche Axiome" ausdrücken.


Beobachtungsmöglichkeiten und -ebenen in Hinsicht auf den Prozess zwischen Therapeutin und Klient (Meta-Perspektive/ Außensicht):

9.1 Auswirkungen einleitender "Rahmungen" (Beginnphase des Gesprächs oder Beginn einer neuen Phase im Rahmen des Gesprächs).

9.2 Unterscheidbare "Phasen" im Gesprächsverlauf (,,qualitative Sprünge", Pausen, Themenwechsel, Ebenenwechsel).

9.3 (Wechselnder) Anteil an Redebeiträgen.

9.4 Unaussprochene Themen, ausgeblendete Gesprächs- oder Beziehungsaspekte.

9.5 (In-)Kompatibilität der Repräsentationsebenen zwischen Therapeut und Klientin.

9.6 Angleichungen/ Auseinanderentwicklung von Sprachmustern.

9.7 Antagonistische v. affirmative Reaktionen auf Mitteilungen.

9.8 Sich chronifizierende "Muster" im Rahmen der Therapiebeziehung (zirkuläre Reaktionsketten).

9.9 Veränderungen im Blickkontakt bzw. körperlicher Zuwendung (Nähe - Distanz), Dauer von Blickperioden.

9.10 (A-)Symmetrische Position von Armen und Beinen.

9.11 Reaktionsgeschwindigkeit auf Äußerungen der jeweils anderen Person.

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