Wenn zwei nicht mehr miteinander können
- Thomas Laggner
- 18. Mai
- 2 Min. Lesezeit
... und einer es nicht merkt
Ein Fall aus der Beziehungsberatung, der mehr über uns selbst verrät, als wir denken

Beziehungsarbeit beginnt selten dort, wo es laut wird – sondern dort, wo es still geworden ist. Dort, wo zwei Menschen jahrelang nebeneinander funktionieren, aber längst nicht mehr miteinander leben.
In diesem Beitrag erzähle ich von einem anonymisierten Fall, der exemplarisch zeigt, wie sich emotionale Erschöpfung in Paarbeziehungen schleichend aufbaut – und warum es für Berater:innen so wichtig ist, nicht vorschnell zu „reparieren“, sondern tief zuzuhören.
🧑🤝🧑 Das Paar: L. und M.
L. und M. sind seit fast 30 Jahren verheiratet. Zwei Kinder, ein gemeinsames Haus, viele Jahre der gegenseitigen Fürsorge. Doch etwas hat sich verschoben – über Jahre, fast unmerklich.
L. übernimmt seit langem den Alltag, die Familie, die Entscheidungen. M. zieht sich zurück. Redet wenig. Zögert. Denkt nach. L. geht in eine psychosomatische Reha – und erkennt dort: „Ich bin leer. Ich funktioniere – aber ich lebe nicht.“
M. dagegen fühlt sich überfordert. Er liebt seine Frau, das betont er. Aber er weiß nicht, wie man das zeigt. Und noch viel weniger, wie man über Gefühle spricht.
⚖️ Die versteckten Muster
L.: „Ich war seine Therapeutin, seine Mutter, seine Projektmanagerin – aber nicht mehr seine Frau.“M.: „Ich habe Angst, es falsch zu machen. Also mache ich lieber nichts.“
In der gemeinsamen Sitzung wird deutlich:
L. hat jahrelang mehr gegeben, als gut für sie war – aus Pflichtgefühl, aus Liebe, aus Gewohnheit.
M. hat weniger gezeigt, als nötig gewesen wäre – aus Angst, aus Unsicherheit, aus Vermeidung.
Das fatale Muster: Sie überverantwortet – er entzieht sich. Und je mehr sie verlangt, desto starrer wird er, je weniger er spricht, desto lauter wird sie.
🎓 Was lernen wir daraus?
1. Verantwortung kippt leise
Wenn ein Partner über Jahre emotional abwesend ist, entsteht ein inneres Vakuum. Der andere füllt es – oft über die eigenen Grenzen hinaus. Das ist kein „Fehler“, sondern ein Schutzversuch. Aber kein tragfähiges Beziehungskonzept.
2. Vermeidung ist kein Schutz – sondern eine Entscheidung
Auch Nicht-Handeln hat Wirkung. Wer Gefühle nicht kommuniziert, kommuniziert dennoch: Rückzug, Unsicherheit, Misstrauen. Das Gegenüber spürt das – und beginnt oft zu kämpfen. Gegen die Leere.
3. Nicht jede Beziehung muss bleiben
Beratung darf nicht nur auf Erhalt fokussiert sein. Manchmal ist Loslassen heilsamer als jede Veränderungsarbeit. Es braucht Mut, diesen Raum offenzuhalten – für beide Seiten.
🧰 Für die Praxis: Haltung & Methode
In der Ausbildung zur Lebensberatung lernen wir, nicht zu urteilen, sondern zu verstehen. Nicht zu lösen, sondern Raum zu geben. In diesem Fall half eine personzentrierte Haltung, um beiden Partnern einen Zugang zu ihrer eigenen Stimme zu ermöglichen.
Strukturelemente in der Sitzung:
Sprechzeit in Monologform (ohne Unterbrechung)
Aktives Spiegeln durch den/die Partner:in
Drei zentrale Fragen:
Was fühle ich, wenn ich dich sehe?
Was wünsche ich mir – auch wenn du es nicht erfüllen kannst?
Was halte ich zurück – aus Angst?
🌀 Fazit für angehende Berater:innen
Als Berater:in bist du keine Schiedsrichter:in, keine Therapeut:in und kein Reparaturdienst. Du bist Raumhalter:in. Zuhörer:in. Übersetzer:in. Resonanzkörper.
Beziehungen scheitern nicht an Streit – sondern an Sprachlosigkeit.Und Beratung beginnt genau dort, wo wieder Sprache entstehen darf.